Braderuper Heide am späten Nachmittag. Etwa zehn Meter HINTER dem Schild mit der gut lesbaren Aufschrift „Naturschutzgebiet – Bitte nicht betreten! – Vogelbrutgebiet – Hunde bitte anleinen!“ lungert ein mittelaltes Paar herum und veranstaltet ein Picknick. Soeben wird die Verpackung eines Schokoriegels von einer Böe erfasst und segelt elegant in Richtung Wattenmeer. Ein lebhafter Hund tollt zwischen Wiesen, Meer und dem Paar herum. Ich schlendere bis in Hörweite und räuspere mich, die zwei wenden nicht einmal den Kopf. Als ich mich in unmittelbarer Nähe befinde, zücke ich mein Handy und knipse ein paar Nahaufnahmen von den beiden Ignoranten.
„Hey, was machen Sie denn da?“, ruft der Mann.
„Die Frage müsste viel mehr lauten: Was machen SIE denn da...“, antworte ich höflich und zeige auf das Schild mit den bunten Lettern.
„Ach, die paar Meter...“, schnaubt der Mann.
Ich deute nunmehr auf den Hund, der gerade in die Wiese rennt und einen Austernfischer aufstört, der panisch hochflattert.
„Der tut doch nix“, kommentiert der Mann.
Ich seufze augenrollend.
„Wer sind Sie denn überhaupt?“, keift mich das vermeintlich erwachsene Weibchen an.
Schweigend zücke ich einen druckfrischen Ausweis. „Stellv. Vorsitzende des Vereins zum Schutz des Wattenmeers vor Idioten und zur Erhaltung des guten Benehmens“ steht dort nebst einem verschnörkelten Stempel, den ich gestern Abend in filigraner Handarbeit aus einer Kartoffel geschnitzt habe.
„Und was wollen Sie jetzt machen? Uns festnehmen?“
Die Frau kichert aufreizend.
„Aber nein“, gebe ich gelassen zurück. „Die Fotos gehen in unseren Verteiler.“
„Was denn für ein Verteiler?“, will man jetzt neugierig von mir wissen.
„Och, das Übliche. Kurverwaltung, Logistik, Vermietung, Gastronomie...“, antworte ich schulterzuckend.
Die beiden gucken mich fragend an.
„Hatten Sie schonmal eine Fischsuppe mit Spucke drin? Oder wurden beim Autozug auf eine Nebenspur gelenkt und dort vergessen?“, sinniere ich und kratze mich am Kinn. „Es soll auch gelegentlich vorkommen, dass man wegen einer Doppelbuchung plötzlich ohne Unterkunft da steht.“
Ich rücke meine Mütze zurecht und gucke unschuldig.
„Das ist doch bestimmt nicht legal!“, ruft jetzt der Mann, der mittlerweile rot angelaufen ist.
„Ach, legal, illegal...“, gebe ich zurück.
Ich wiege den Kopf hin und her. Während ich den Hund fokussiere, der mit dem Herumtollen aufgehört hat und mit eingezogener Rute zu Füßen der Frau kauert, fahre ich fort:
„Es ist auch nicht legal, dass Hundeschenkel für Labskaus verwendet werden...“
Ein dezent diabolisches Grinsen wandert über mein Gesicht.
Während die Zweibeiner sich nun erst recht lauthals ereifern, schnappt der einsichtige Hund nach der Leine und trägt sie hechelnd zum Alphamännchen. Leider wird er ignoriert, die Herrschaften sind beschäftigt.
Das wilde Lamentieren ignorierend setze ich seufzend meinen Spaziergang fort. Als ich mich noch einmal kurz umdrehe, sehe ich, wie der Austernfischer zu einem gewagten Sturzflug ansetzt und die gute Jack Wolfskin-Jacke der Frau großflächig vollkotet. Über das unweigerliche Aufkreischen muss ich nun doch schmunzeln. Im Weitergehen vernehme ich deutlich ein hämisches Lachen und kann nicht sagen, ob es vom genervten Vogel oder womöglich sogar vom Familienhund kommt… von einer Sylterin